Das unbekannte Japan
Japan, die Inselgruppe im Pazifik, gefüllt mit Samurais, Burgen und Bergen, mit stets höflichen und zuvorkommenden Bewohnern, welche emsig ihre Zen-Gärten und Koi-Teiche pflegen. Dieses Japan, wo superschnelle Züge saubere Megastädte verbinden, die Leute gerne und viel Fisch essen und jeder fallenden Kirschblüte nachtrauern, dieses Japan haben wir besucht. Und Japan überrascht uns mit unbekannten Seiten, über die wir hier berichten wollen.
Reiseland
Um aus den Großstädten rauszukommen und um das abgelegene Japan zu erkunden haben wir, wen wundert’s, einen Van gemietet. Mit einem Camper lässt sich das Land der aufgehenden Sonne einfach, effizient und individuell bereisen. Viele Japaner erkunden ihr Land ebenfalls im eigenen Auto, so dass eine umfassende Infrastruktur mit Nachtplätzen, Toiletten und Verpflegungsmöglichkeiten zur Verfügung steht.
Wir starten in Tokyo und sind überrascht, wie gut uns die Stadt gefällt. Die vielen Parks und Sehenswürdigkeiten beschäftigen uns für Tage. Das U-Bahn-Netz ist so gut ausgebaut, dass der Individual-Verkehr überschaubar ist. Für die Bevölkerung in dieser Millionenstadt gelten eigene Regeln, um das Zusammenleben einfacher zu gestalten. Beispielsweise geht niemand bei Rot über die Strasse. Erstaunlich ist auch, wie ruhig es in der U-Bahn ist. Keiner telefoniert, niemand spricht laut. Das wäre echt auch was für die S12.
Wir übernehmen unseren Van und machen uns auf, den Norden zu erkunden. Überrascht stellen wir fest wie schnell wir aus der Stadt raus sind und sich Reisfelder und kleinere Ortschaften abwechseln. Japan ist im Norden grüner, urwaldiger und wilder als wir erwartet haben. Riesige unberührte Wälder, durch welche keine Strasse führt, beherbergen Wildtiere, die unbehelligt und ohne Scheu vor Menschen ein beschauliches Leben führen. In Hokkaido, der nördlichsten Insel, bestaunen wir das erste Mal die faszinierend bunte Herbstfärbung in Japan. Die Wanderungen haben es in sich. Der Weg verläuft immer in einem Bachbett steil den Berg hinauf. Zusätzlich werden wir häufig verregnet. Und hier regnet es anders: Eine Art Sprühregen wie in der Auto-Waschanlage kommt von allen Seiten und wir sind schnell patschnass. Auch der Regenbogen ist anders: er liegt flächig wie ein Tuch über der Landschaft.
Unter der Erdoberfläche Japans brodelt es überall. Die Japaner machen das beste draus und nutzen das Thermalwasser seit Jahrhunderten für ihre Onsen-Kultur. Auch wir sind fleissige Onsen-Gänger. Ein paar sind urig-schön, andere haben den Charme eines veralteten Kur-Bades und einige bieten sogar Berg- oder Meeres-Sicht.
Verkehr
Die Japaner sind ein Volk in Bewegung. Sie reisen sehr gerne und viel. Ungefähr 97% der Touristen sind Einheimische. In ihrer Freizeit erkunden sie das eigene Land. Hierfür sind sie bereit, viel Geld auszugeben. Das schlägt sich nieder in den Gebühren für die Tempel, Gärten, Parkplätze und Naturschauspiele. Der Verkehr ist ruhig, es wird nicht gedrängelt und nicht gehupt. Das Reisetempo ist sehr gemächlich, gilt doch Innerorts generell 40 und Ausserorts 60. In Kombination mit den unzähligen unsynchronisierten Lichtsignalen sind dann noch 30-40 km/h drin. Und so fühlt sich eine Fahrt durch Japan zäh an wie eine tagelange Fahrt durch Oerlikon. Wer schneller voran kommen will, muss auf den Bezahl-Highway. Und da wird wiederum kräftig zugelangt: im Schnitt kostet die Autobahn am Tag gleich viel wie der Mietwagen. Wir haben nicht nur darum bewusst auf die Mautstrassen verzichtet. Da die Bezahl-Highways meistens über Brücken und Viadukte oder durch Tunnels geführt werden, hätten wir unterwegs nicht viel vom Land und Leben der Japaner gesehen.
Um Zeit gutzumachen fahren die Japaner notorisch 15-20km/h zu schnell. Das bringt insgesamt wenig, denn meistens steht an jeder noch so kleinen Strassenkreuzung eine rote Ampel. Somit warten die Japaner ein paar Jahre ihres Lebens vor roten Lichtsignalen, ohne dass ein anderes Auto über die Kreuzung fährt. Um das Warten zu verkürzen beschäftigen sie sich mit allerhand anderen Dingen: der Klassiker ist Fernsehen oder Telefonieren, doch auch Rasieren, Schminken und was sonst noch zum Morgen-Service gehört... und so geschieht es teilweise, dass es grün wird und keiner losfährt. Zeit für meine Zen-Übungen.
Auch wir verlieren gefühlt eine Woche Reisezeit vor dem Rotlicht und fragen uns, warum intelligente Ampeln in diesem Technik-begeisterten Land noch nicht flächendeckend vorhanden sind. Während wir warten, stellen wir fest, dass hier die Autolackierer über eine grössere Farbpalette verfügen: neben den altbekannten Farben ist in Japan jede denkbare Pastell-Tönung zu haben. Zusätzlich zu den Farben sind auch die unzähligen fantasievollen Autobezeichnungen der kleinen Flitzer erwähnenswert. Hier unsere Favoriten: Baden, Bandit, Cowcow, Homy, Hustler, Lapin, Latte, Otti, Platz, Raum, Rush, Scrum, Six-Pack, Tank. Unser Van macht auch mit: Bongo Friendee. Wer sich für die ganze Liste interessiert, findet sie am Schluss des Berichtes.
Landwirtschaft
Jede unbebaute Fläche wird mit Reis bepflanzt, was staatlich subventioniert wird. Japan importiert über die Hälfte ihrer Nahrungsmittel und ist nur beim strategisch wichtigen Reis Selbstversorger. Die Geschichte mit dem Kobe-Rind geht für uns jedoch nicht ganz auf: wir sind 6 Wochen lang übers Land gefahren, haben aber nur wenige Rinder gesehen. Aber so viele Restaurants auf der ganzen Welt behaupten genau dieses Premium-Fleisch für viel Geld auf den Teller zu bringen. Da müssen noch einige Paarhufer neu beschriftet werden…
Essen
Kulinarisch gibt es viel zu entdecken und zu probieren. Wir sind immer froh, wenn ein Restaurant Bilder oder täuschend echte Plastiknachbildungen ihrer Gerichte präsentiert. Auch schon mussten wir an einem Automaten nach dem Zufallsprinzip ein Gericht auswählen… mit mehr oder weniger Erfolg. Zu praktisch jedem Gericht gehört Fisch, Reis oder Nudeln, mit oder ohne Suppe. Das meiste schmeckt uns. Hierzu gehören nicht die japanischen Desserts – meistens eine Kombination aus Reis und Grüntee. Jedoch sind die Sushi-Kreationen, Miso-Suppen und Ramen häufig ein Highlight. In den Bergregionen sind die Zutaten aus dem Wald – wie Farne, Pilze und Knollengewächse – ein Leckerbissen. Vieles wird aufwändig eingemacht oder getrocknet. Unterwegs mit dem Van verpflegen wir uns häufig mit den praktischen Bento-Boxen. Das Essen aus Plastikschälchen verursacht leider Berge von Abfall.
Kultur
Kulturell ist Japan eines der spannendsten Länder unserer Reise. Die aufwändig und detailreich verzierten Tempel sind im ganzen Land zu finden. Die vielen Burgen zeugen von einer reichen, kriegerischen und turbulenten Vergangenheit. Dazu gesellen sich verträumte japanische Gärten. Die ländlichen Regionen halten die alten Traditionen hoch und locken mit herkömmlichen Siedlungen und Samurai-Städten, in welchen die traditionelle Lebensweise und Baukunst bewundert werden kann. Diese Sehenswürdigkeiten begeistern nicht nur uns. Wie bereits erwähnt, reisen die Japaner gerne und viel. Wir versuchen somit, immer möglichst früh anzukommen, um den grossen Massen zu entfliehen. Das gelingt uns Anfangs besser, da in Japan gerade Zwischensaison ist. Gegen Ende unserer Rundreise wird es zunehmend schwieriger etwas in Ruhe anzuschauen. Wir verlieren regelmässig unser Zen, wenn Reisegruppen mit Megafons im Tempel auftauchen oder riesige Menschenmassen in einen Wald strömen um einen Baum zu bestaunen, der sich verfärbt hat. Wie es während der Kirschblütenzeit zu und her geht möchten wir uns erst gar nicht vorstellen.
Gesellschaft, Land & Leute
Zwei Drittel der japanischen Bevölkerung lebt heute in dicht besiedelten Regionen auf 3,3 % der Landfläche. Japan kennt auch keinen Mindest-Bau-Abstand, und so drängen sich die Häuser einer Siedlung eng aneinander. Praktisch: Man kann dem Nachbarn im 2.Stock die Geranien gleich mitgiessen.
Wie allgemein bekannt, ist hier alles effizient organisiert. Die ÖV’s sind pünktlich und sauber, vielleicht sogar noch besser als in der Schweiz. Im Unterschied finden sich hier keine Graffitis in den Städten, es liegen keine Zigarettenkippen am Boden da Rauchen nur noch in abgesperrten Bereichen erlaubt ist und die öffentlichen und überall verfügbaren Toiletten sind wirklich, wirklich sauber. Apropos WCs: An den beheizten Sitz kann man sich echt gewöhnen, jedoch macht der Stromverbrauch aller Toiletten mit ca. 4% umwelttechnisch überhaupt keinen Sinn.
Japan, das bedeutet auch Meer. Dabei verbindet die Japaner eine Art Hassliebe mit dem Meer, ist es doch Nahrungsquelle Nummer eins – jeder siebte weltweit gefangene Fisch geht nach Japan – und Bedrohung der Küstenorte zugleich. Durch die Tsunami-Verbauungen und Wellenbrecher sind weite Teile der Ostküste nicht mehr sehr malerisch. Aber diese Verbauungen dienen den Fischern als Standplatz. Und in jedem Japaner steckt ein Fischer. Zu Tausenden schwärmen sie am Morgen an die Küsten oder zu jedem noch so kleinen Rinnsal zum Angeln aus. Vor allem an Feiertagen kann es da schon mal eng werden auf dem Pier. Und auch hier kommt das Thema Effizienz wieder: Japaner angeln nicht nur mit einer Angel, sondern mit bis zu 13 Angeln pro Person.
Für uns ist der japanische Tagesablauf auch nach über einem Monat ein Rätsel. Japan kennt keine Winter- und Sommerzeit. Sonnenaufgang ist im Früh-Herbst um 5:30, Sonnenuntergang vor 18:00 Uhr. Was an sich noch kein Problem ist. Die Japaner passen sich aber nicht diesem Umstand an und so geht viel Tageslicht in den frühen Morgenstunden ungenutzt verloren. Die Geschäfte und Tankstellen öffnen frühestens um 8:00 Uhr. Die Sehenswürdigkeiten und Gärten meist noch später, was dann für uns Hobbyfotografen lichttechnisch eine echte Herausforderung wird. Von wegen 24h-Gesellschaft; dies stimmt höchstens in den Gross-Städten. Auf dem Land tickt Japan anders, warm Essen können wir meistens nur zwischen 11:00 und 14:00, und nach 18:00 Uhr ist eigentlich alles geschlossen.
Das hätten wir nicht erwartet
Uns sind ein paar Angewohnheiten der Japaner aufgefallen, die nicht ganz zum Bild des überkorrekten und höflichen Stereotypen passen:
– Der allgemeine Perfektionismus der Japaner, beispielsweise beim Origami, den Gärten, Essen & Waschen hat beim Strassenbau ein jähes Ende. Die Strassen sind oftmals in einem schlechten Zustand und haben keine definierte Breite, auf die wir uns verlassen können. So wird auch eine 4-spurige Hauptstrasse plötzlich zu eng zum Kreuzen, Brückenabsätze haben eine Toleranz wie in Sizilien und die wuchernde Vegetation nimmt einem die ganze Sicht.
– Dazu kommt: Sicherheit im Strassenverkehr wird gross geschrieben und klein gelebt. So wird tagsüber konsequent ohne Licht gefahren, meist auch im Tunnel, bei Regen und Nebel. Erst wenns so dunkel ist, dass die eigenen Anzeigen nicht mehr zu lesen sind, wird Licht gemacht. Dann aber alles was geht. Das Volllicht gibt ja auch deutlich mehr her als das Abblendlicht! Ein Spannendes Detail zum Thema Licht: Wir hatten für den Fall einer Panne kein Warndreieck, sondern eine Leuchtrakete dabei… Sozusagen 1. August im Pannenfall!
– Für uns auch sehr befremdlich ist der Umstand, dass in Japan die Leute mitten auf der Strasse anhalten, um irgendetwas zu tun. Wörtlich mitten auf der Fahrspur. Auch wenn gleich daneben ein Parkplatz ist, wird der Pannenblinker eingeschaltet und auf der Hauptstrasse geparkt. Auch die Lastwagenfahrer halten auf der Einspurstrecke der Autobahn an und Schlafen eine Runde. Als ob der Pannenblinker alles entschuldigen würde. Das kennen wir natürlich von anderen Ländern, hätten wir aber den gehorsamen und korrekten Japanern nicht zugetraut. Und so steht oftmals ein Fahrzeug irgendwo auf der Strasse und der Besitzer ist einkaufen, am Telefonieren oder am schlafen.
– Aber das absolute unverständlichste Verhalten ist der Umstand, dass in Japan gerne der Motor laufen gelassen wird. Beispielsweise die ganze Nacht, wenn der Fahrer im Auto schläft oder auch während dem Einkaufen (inkl. Klima-Anlage… damit es dann auch schön kalt ist im Auto wenn man Stunden später wieder kommt). Und so kommen wir jede Nacht in den Genuss von laufenden Motoren auf den Parkplätzen, ratternden LKWs und Klima-Anlagen. Wohlgemerkt: es war die ganze Zeit ca. 20 Grad in der Nacht!
Sayonara
Eine wunderbare Zeit in Japan geht zu Ende. Wir haben 10’000 km in diesem vielseitigen, höflichen, spannenden, kontroversen, reich an kulturellen Schätzen und von Reisfeldern und Mega-Citys durchzogenen Land zurückgelegt.
Unser Fazit: Japan wir lieben dich, doch wir verstehen dich nicht immer!
Lustige Autonamen
Acty, Airwave, Alphard, Altezza, Alto, Atenza, Bandit, Blade, Bluebird, Bolero, Bongo Friendee, Carbus, Carol, Chiffon, Cocoa, Conte, Cowcow, Diva, Eis, Elf, Elgrand, ElGrande, Esse, Every, Exe, Fielder, Fit, Foxy, Freed, Gina, Grace, Hijet, Homy, Hustler, ISIS, Ist, Jimny, Join Turbo, Kluger, Ladin, LaFesta, Landy, Lapin, Latte, Leek, Life, March, MarkII, MarkX, Max, Moco, N+box, Noah, Note, Odissey, Otti, Otto, Palette (Limited), Passo, Passy, Pastell, Platz, Porta, Raum, Roomy, Roox, RunX, Rush, Scrum, Serena Highway Star, Silvia, Six-Pack, Solid, Spacia, Spacie, Spade, Sparky, Spike, Star, Stingray, Stream, Street, Succeed, Sylphy, Tank, Tanto, That’s, Vamos Turbo, Vanguard, Vellfire, Vezel, Vitz, Wake, Wingroad, Wish, Wohnmobil ‚Baden‘.
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